Hybride: Zitatencollage zum digitalen Fotografie
Theoretische Abschlussarbeit betreut von Prof. Dr. Knut EbelingEinleitung
Die Abschlussarbeit ist eine Zitatensammlung aus den Texten über Theorie und Ästhetik der digitalen Kunst, sowie generativen Fotografie. Die Struktur der ständig wachsenden Sammlung wird nach dem Sender-Kanal-Empfänger-Modell von Gottfried Jäger entworfen und thematisiert somit mein eigenen fotografischen Umsetzungsprozess zum Beispiel die Fotoserie “Hybride”. In einer spielerischen, fragmentarischen und verwirrend collagewirkenden Weise werden die Zitate auf dieser Website präsentiert. Verflüssigung der Bilder, Veränderung der Bildinformation, Störungsfreiheit, Spezifik digitaler Bilder und Konstruirbarkeit der Welt werden zum wichtigen Fragen in meinem künstlerischen Arbeitsprozess.
Kybernetisches Sender-Kanal-Empfänger-Modell
Nach dem Beispiel von Gottfried Jäger1 habe ich sein Sender-Kanal-Empfänger-Modell erweitert2 um mein Arbeitsprozess besser zu beschreiben und zu verstehen. Die daraus entstandene Struktur, wird hier weiter als Grundlage für Gruppierung und Presäntation der Zitatensammlung verwendet.
[1] Gottfried Jäger, Kybernetisches Sender-Kanal-Empfänger-Modell, Diagramm aus Generative Fotografie, Ravensburg 1975., S. 25
[2] Erweiterung des Modells von Gottfried Jäger, die mein eigenen Arbeitsprozess beschreibt
1.
Gegenstände:
Ornamentale Masse
Archetypische Sujets: der Mensch, die Architektur, die Natur, die Technik sind in einer digitalisierten, globalisierten Bildwelt ornamentale Masse - das Erscheinen der reinen, veränderbaren Oberfläche.
[1]
[1] Müller, Karl: Kleine digitale Malklasse / Von der scheinbaren Fotografie zur digitalen Malerei, Heidelberg: Kehrer Verlag, 2008, S. 10.
2.
Fotografin:
Inhumane Welt
Die Träume der Wissenschaftler haben nicht ausschließen können, dass eine zunehmend inhumane Umwelt entstanden ist. Es ist an der Zeit, dass der Künstler wieder eine führende Rolle einnimmt und nicht nur fasziniert zusieht, was um ihm herum geschieht. Er sollte sich die technologischen Prozesse und Werkzeuge zu eigen machen und eingreifen und mitbestimmen, welcher Natur sie seien, um sie auf diese Weise auf die grundlegenden menschlichen Bedürfnisse zurückzuführen. Der Weg des direkten Zugriffs befreit den Künstler von der Versuchung der Mystifikation der Technik und platziert ihn selbst in die Mitte des Geschehens. Von hier aus sollte er die Reise seiner Entdeckungen des Geheimnisses einer technisch-wissenschaftlichen Welt antreten und seine dabei gewonnenen Erfahrungen künstlerisch vermitteln.
[1]
Nach Florian Rötzer ist mit der digitalen Fotografie das Paradigma der Darstellung von Wirklichkeit heute von dem der Erzeugung von Wirklichkeit abgelöst worden. Die „offenen" Eigenschaften des neuen Mediums kommen nicht zufällig vor in einer Zeit, in der die analoge fotografische „Verdopplung" der Welt kaum mehr in der Lage ist, die Komplexität unseres Lebens zu erfassen. Fotografieren wird zum millionenfachen Reproduzieren allgemein bekannter Klischees und die Rezeption des Analogen (mit wenigen Ausnahmen) in der Masse wiederkehrender Bilder zum folgenlosen Bildkonsum. Wir verbrauchen fotografische Bilder weitestgehend ohne Veränderung unseres persönlichen “Bildes von der Welt” - man kann sogar sagen: Unser Bewusstsein wird durch sie fortwährend manifestiert. Das Medium hat in der Masse der Wiederholung des Immergleichen als Aufklärungs- oder Informationsmedium seine Kraft verloren.
[2]
Deshalb wundert es nicht, dass die digitale Entwicklung und ihr Resultat, die neuen Bildgenerierungen, in besonderem Maße in der Lage sind, den kreativen Erfindungsgeist zu entfachen. Komplexe und medienbezogene Reflektionen sind das Ergebnis. In jungeren künstlerischen Fotokonzepten wird die Befreiung vom Realitätsbezug der Fotografie - die Auflösung der Analogie zur Wirklichkeit - bemerkenswert erfolgreich als Chance begriffen, das Medium endgültig in den Olymp der etablier- ten Kunstgattungen aufzunehmen (z.B. Jeff Wall, Andreas Gursky, Thomas Ruff). Dabei ist besonders das Phänomen zu beobachten, dass viele Künstler die wirklichkeitstreue Abbildungsfähigkeit der analogen Fotografie nicht hinter sich lassen, sondern dass sie für neue Bildstrategien geradezu von zentraler Bedeutung ist.
[3]
[1] Sheridan, Sonia Landy: «Generative Systems versus Copy Art: A Clarification of Terms and Ideas», in: LEONARDO, Nr.16, Berkeley, CA/Oxford, UK 1983, S.103-108; dies., A Generative Retrospective. Ausst.-Kat., University of Iowa Museum of Art. Iowa City, Iowa 1976
[2] Müller, Karl: KleIne digitale Malklasse / Von der scheinbaren Fotografie zur digitalen Malerei, Heidelberg: Kehrer Verlag, 2008, S. 3-4.
[3] Müller, 2008, S. 5.
3.
Fotos:
Analogisierung
Fotografieren in diesem [klassischen] Sinne heißt analogisieren, heißt herstellen paralleler Strukturen zur visuellen Welt.
[1]
Wie ebenfalls deutlich wurde, bilden Fotograf und sein technisches Mittel, die Fotografie, zusammen das System des lnformationsübertragungskanals. Dabei zeigte sich aber auch, dass dieses System alles andere als ein ,idealer Kanal' ist. - Als idealer Kanal gilt in der Nachrichtentechnik ein Übertragungssystem nur dann, wenn es die Nachricht eines Senders einem Empfänger unbeeinflusst von außen - also ohne Störung, ohne Informationszugabe oder -verlust — überträgt. Das wird bei der fotografischen Abbildung im Sinne einer naturgetreuen Wiedergabe zwar angestrebt, aber nie ganz erreicht. (…)
Es ist aber nicht der Fotograf allein, der diese Veränderung der ,Objektinformation’ vornimmt. Auch sein physikalisch-technisches Mittel als Träger der Information ist trotz seiner heute hohen Perfektion nicht als ,ideal’ anzusehen. (...)
Bekanntlich geht nämlich noch eine Menge ‚Objektinformation’ auf dem Weg zum fertigen Bild verloren. Im Sinne einer naturgetreuen Wiedergabe handelt es sich hierbei um Störfaktoren, die die gewünschte eindeutige Abbildung beeinträchtigen. Bildwichtige Details werden entweder erst gar nicht übermittelt oder durch technische Störungen, das so genannte ,Rauschen' überlagert. [2]
[1] Müller-Pohle, Andreas: Analogisieren, Digitalisieren, Projizieren / Zu den „Digitalen Partituren" nach Nicèphore Nièpce, in: Rundbrief Fotografie, N.F. 11, Vol.3, No. 3, Göttingen 1996, S. 4. [2] Jäger, Gottfried: Abstrakte, konkrete und generative Fotografie. Gesammelte Schriften, Bernd Stiegler, Paderborn: Wilhelm Fink Verlag, 2016, S. 81-82.
4.
Scans:
Verflüssigung der Bilder
Die absolute Entgrenzung der Medien zielt ganz unromantisch auf eine zweite Natur, hinter der es keine erste mehr gibt.
[1]
Genau in ihrer Eingelassenheit in ein Systemganzes nämlich liegt wenigstens ein Aspekt der Spezifik Digitaler Bilder. Das wird schon allein daran deutlich, dass Menge; Dichte und Geschwindigkeit des Bildumlaufs und der Bildverbreitung mit der Digitalisierung unglaublich zugenommen haben und die Welt der Bilder damit gleichsam einen anderen Aggregatzustand angenommen hat; und natürlich auch an der Verflüssigung der Bilder, die eine ständige Überarbeitung und Veränderung gestatten.
[2]
Es sind nicht mehr Bilder analog zur Welt, in der wir leben, sondern unbegrenzte "optional surfaces" mit austauschbarem, erweiter- und wandelbarem Charakter. Das.digitale Bild ist technischen Ursprungs, es ist gerechnet, kann berechnet und kalkuliert werden. Es kann den Absichten des Autors bis zu jedem Pixel folgen. Damit besitzt es die Fähigkeit zur rationalen, narrativen Leistung.
[3]
Seinerzeit hatte das neue Medium [Fotografie] die Aufgabe, die Welt zu sichten und zu entdecken - mit allen kulturellen und geographischen Eigenheiten, jeweils verortet an einem festen Platz zu einer bestimmter Zeit.
In der digitalen Welt ist alles immer überall.
[4]
Zukunftsvisionen, in denen das Bild alle physikaIischen Grenzen hinter sich lässt, bilden den perfekten Ersatz für eine problembeladene Welt mit unmittelbaren Erfahrungen. Damit ist die wachsende Bedeutung medialer Dimensionen als Antrieb unseres Lebens und möglicherweise Katalysator unserer evolutionären Entwicklung bezeichnet … .
[5]
Digitale Bilder sind, wenigstens in einem technischen Sinn, programmbasiert, programmgesteuert und programmgeneriert. Zugleich aber bilden sie, im Zuge ihrer Verbreitung, ihrer Zirkulation und Re-Zirkulation, ihrer Projektion und Re-Projektion, ihres Kursierens und Re-Kursierens, schließlich ihres Gebrauchs und Verbrauchs, ihrerseits Programme aus. Digitale Bilder sind daher nicht nur Programmresultate in einem technisch-informatischen Sinne, sondern selbst Programme und Teil eines größeren, durchaus re- gelkreisartigen Programmgeschehens, in dem sie aufgeben und Sinn machen. Die »äußere« Wirklichkeit der Digitalen Bilder bemisst sich demnach nicht mehr oder nicht mehr nur semantisch nach Bildgegenständen, sondern wenigstens auch funktional nach Steuerungs- und Wechselwirkungszusammenhängen. Und dabei kommt selbstverständlich dem Verhältnis des Programms zu seiner Störung eine herausragende Bedeutung zu.
[6]
Thee digital platform also increases the accessibility of visual materials: images can be easily digitized through scanning and are readily available for copying or dissemination on the Internet. Whether the concepts of authenticity, authority, and aura are destroyed through these forms of instant reproducibility is debatable, but they have certainly undergone profound changes.
[7]
lt has frequently been argued that the digital image is not representational because it is encoded and does not record or reproduce physical reality. While this is debatable on the level of the 'content' of the image, which often simulates and represents a physical reality, it is true from the perspective of its production. The digital image consists of discrete, modular elements, pixels that are based on algorithms, mathematical formulas. While bits are still essentially threads of lights, they do not by nature require a physical object to 'represent' and are not based on a principle of continuity with a real world. Many digital images make this fact the focus of artistic exploration - often in relation and contrast to other media such as photography. They also sometimes visualize a process that otherwise would remain unseen, by translating and ‚encoding‘ visual information.
[8]
[1] Bolz, Norbert: Theorie der neuen Medien, München 1990, S.63.
[2] Engell, Lorenz: Ohne Störung. Wirklichkeit als Programm und als Grenzwert in der Digitalen Ästhetik, in: Störzeichen. Das Bild angesichts des Realen, hrsg. O. Fahle, Weimar: VDG, 2003, S. 238.
[3] Müller, Karl: Kleine digitale Malklasse / Von der scheinbaren Fotografie zur digitalen Malerei, Heidelberg: Kehrer Verlag, 2008, S. 10.
[4] Müller, 2008, S. 11.
[5] Müller, 2008, S. 47. [6] Engell, Lorenz: Ohne Störung. Wirklichkeit als Programm und als Grenzwert in der Digitalen Ästhetik, in: Störzeichen. Das Bild angesichts des Realen, hrsg. O. Fahle, Weimar: VDG, 2003, S. 238. [7] Paul, Christiane: Digital Art, third edition, London: Thames & Hudson, 2015, S. 28.
[8] Paul, 2015, S. 47-48.
5.
3D Modelle:
Programmierung des Schönen und Störungsfreiheit
Ist nun beim Umgang mit der Fotografie die Absicht vorrangig auf Erhalt der vorgegebenen Objektinformation gerichtet, so sprechen wir von einer ,abbildenden Fotografie'. Liegt die Absicht demgegenüber auf Erzeugung und Gewinn von Informationen, so sprechen wir von einer ,bilderzeugenden Fotografie', im engeren Sinne auch von einer ,generativen Fotografie'.
[1]
[Prinzip der Generativen Fotografie] war gekennzeichnet durch: Erzeugung ästhetischer Strukturen auf Grund definierter Programme, die durch fotochemische, fotooptische oder fototechnische Operationen realisiert werden mit dem Ziel, einen optimalen und funktionalen Bezug aller am Aufbau der ästhetischen Struktur beteiligten Elemente zu erreichen.
[2]
Unter generativer Ästhetik ist nun die Zusammenfassung aller Operationen, Regeln und Theoreme zu verstehen, durch deren Anwendung auf eine Menge materialer Elemente, die als Zeichen fungieren können, in diesen ästhetische Zustände (Verteilungen bzw. Gestaltungen) bewusst und methodisch erzeugbar sind.
[3]
Die zitierte und ihrerseits streng programmatische Äußerung Max Benses über programmierbare Welten als künstliche Realitäten kann leicht auf Bildwelten und Bildwerke bezogen werden. Sie zielt dann auf den Kernpunkt unserer Problematik, nämlich auf die Frage von Vorhersehbarkeit - also Störungsfreiheit - und Wirklichkeit der Bilder.
[4]
Anders als bei der fotografischen Abbildung, bei der das Ziel die weitgehende Erhaltung der Objektinformation ist, wird dieser hierbei auf ihrem Weg zur Bildinformation absichtlich ,objektfremde’ Information hinzugefügt. Man spricht in diesem Zusammenhang auch häufig von einer fotografischen ,Verfremdung'.
Geschieht dieses in einer bewussten gestalterischen Absicht, so stellt die hinzugefügte Information natürlich keine störende Überlagerung, kein ,Rauschen' dar, sondern sie kann im Gegenteil der Verdeutlichung und Heraushebung bestimmter Sachverhalte dienen und so im Sinne einer ,ästhetischen Information' fungieren.
[5]
Im Gegensatz zu fotografischen Bildern besteht der Zweck von fotografischen Bildern darin, umfangreiche Informationen über Objekte zu speichern und dem Bild absichtlich Pfadinformationen hinzuzufügen. In diesem Fall zeigt das Foto normalerweise einen "Fremden".
Die in der Gestaltung enthaltene Information ist natürlich unattraktiv oder "laut", im Gegenteil, sie kann zur Klärung und Verdeutlichung bestimmter Sachverhalte verwendet werden und so zum Verständnis der "ästhetischen Information" beitragen.
Generative Tendenzen in der Fotografie bedeuten insofern eine ,Störung’ des bestehenden fotografischen Systems, als sie sich seiner eingespielten Schemata entziehen und ihnen eine andere Art des Umgangs mit diesem System entgegen- halten. Dies aber geschieht auf konstruktiver Basis: im Sinne einer Erweiterung apparativer Möglichkeiten und der Entdeckung seiner schöpferischen Potentiale. Der Apparat wird umfunktioniert und seinem ursprünglichen Zweck entfremdet. Aber er erhält — wie auch der Mensch, der mit ihm umgeht —, neue Freiheiten und Aufgaben.
(…)
Die generativen Tendenzen in der Fotografie versuchen hier einen Brücken-schlag, indem sie den Apparat nicht verabsolutieren, ihm aber als ,schöpferische Instanz' eine bedeutende Rolle in diesem interaktiven Spiel zuweisen.
[6]
Das jüngste Instrument der apparativen Kunst ist der Computer, der längst nicht nur unterstützend und ausführend eingesetzt wird, sondern generativ, als kreativer Partner und ,schöpferische Instanz’. Die Generative Fotografie bildet auch hier ein Verbindungsglied auf dem Weg zu einer Computerkunst, die durch Digitalisierung und Programmierung bestimmt ist. Numerik und System, verbunden mit einer hohen Präzision ihrer Apparate und Verfahren, rücken sie in die Nähe zu den datenverarbeitenden Bildsystemen der Gegenwart. Das zeigt sich nicht zuletzt auch an ihrer Affinität zu entsprechenden ästhetischen Theorien.
[7]
Generative Fotografien bedeuten daher auch eine gewisse «Störung des konventionellen fotografischen Systems, und zwar insofern, als sie seine Regeln und Gebrauchsanweisungen unterlaufen und außer Kraft setzen und sich seiner eingespielten Schemata widersetzen. Sie halten dem «System» so eine andere Art des Umgangs mit diesem entgegen. Das alles geschieht aus einer konstruktiven Grundhaltung heraus im Sinne einer Erweiterung apparativer Möglichkeiten und der Entdeckung neuer schöpferischer Potenziale. Der Apparat wird umfunktioniert und seinem ursprünglichen Zweck entfremdet. Aber er erhält damit - wie auch der Mensch
, der mit ihm umgeht - neuen Raum für kreative Entfaltung.
[8]
[1] Jäger, Gottfried: Abstrakte, konkrete und generative Fotografie. Gesammelte Schriften, Bernd Stiegler, Paderborn: Wilhelm Fink Verlag, 2016, S. 85. [2] Jäger, 2016, S. 71. [3] Bense, Max: Aesthetica. Einführung in die neue Aesthetik, Baden-Baden, 1965, S.33.
[4] Engell, Lorenz: Ohne Störung. Wirklichkeit als Programm und als Grenzwert in der Digitalen Ästhetik, in: Störzeichen. Das Bild angesichts des Realen, hrsg. O. Fahle, Weimar: VDG, 2003, S. 237. [5] Jäger, 2016, S. 83.
[6] Jäger, 2016, S. 157.
[7] Jäger, 2016, S. 211.
[8] Jäger, 2016, S. 212.
6.
2D Renders:
Programm ist selbst die Quelle seiner Störung
Es gibt nicht mehr Fotografie über Fotografie, sondern vielmehr Fotografie innerhalb der Fotografie, eine Selbstorientierung, eine Selbstverwirklichung ...
[1]
Die Generative Fotografie vertritt nun gegenüber den genannten Richtungen eine eigenständige künstlerische Programmatik. Sie ist eine Erzeugungsfotografie, die sich von der bisherigen Bedeutung des zentralen fotografischen Begriffs der ,Abbildungs- treue' löst, ihn neu interpretiert und erweitert. Sie bildet nicht mehr nur Gegenstände ab, wie die konventionelle Fotografie, sondern sie macht auch Abstrakta zu ihrem Gegenstand: Gedankenbilder, Theoreme, Modelle, Vorstellungen. Sie vermittelt nicht nur einen ,äußeren' Standpunkt, sondern einen ,inneren' Standpunkt: ein Innenbild des bildnerischen Systems Mensch/Apparat - und sie repräsentiert auf hoher symbolischer Ebene den Prozess der Auseinandersetzung beider.
[2]
Das Programm. Es wird angestrebt, ein Programm als eindeutige Anweisung für die Lösung einer Aufgabe zu definieren. Im ästhetischen Bereich ist diese Arbeitsweise noch ungewohnt, jedoch kann auch ,Zufall' mathematisch bestimmt und damit programmiert werden (Computer-Kunst). Das Programm ist nachprüfbar und unter Zuhilfenahme der das Programm realisierenden Geräte von jedermann nachvollziehbar. Damit entfallen die Kriterien ,Unwiederholbarkeit' und ,individuelle Ausarbeitung' als Kriterien für Originalität (Prinzip ,Subjektive Fotografie'). Falls überhaupt angestrebt, lässt sich Originalität hier am ehesten durch die Auswahl realisierbarer Programme ausprägen.
[3]
Programme sehen, Benses Formulierungen machen das deutlich, in die Zukunft, sie sehen etwas vor. Programmierte Abläufe sind vor(her)gesehen und folglich vorhersehbar. Sie sind aber — nur scheinbar paradox —zugleich auch die Quelle des Unforhergesehenen. Gäbe es nämlich die Programmvorschrift nicht, so könnte man zwischen dem Vor(her)gesehenen.und dem gänzlich unvorhergesehen dennoch Eingetretenen gar nicht unterscheiden.
Ohne vorheriges Programm wäre jedes eintretende Ereignis gleich gut und gleich schlecht und gleich gültig. Erst das Programm sieht ja eine bestimmte Ereignisfolge vor und macht damit jede von dieser Vorschrift abweichende Abfolge zum Unvorhergesehenen. Jedes Programm ist folglich selbst die Quelle seiner Störung.
[4]
Künstlerische Bildwerke, in unserem Fall Arbeiten der Digitalen Kunst sind es, die das Unerwartete, Unwahrscheinliche und im Sinne des Programms nicht Vorgesehene produzieren sollen, die die Möglichkeit des Eintreffens neuartiger Ereignisse garantieren sollen. Sie haben sicherzustellen, dass es in der allein bewohnbaren und weitgehend durchprogrammierten Welt so etwas wie Neuheit und mit ihr »reine« Zukunft überhaupt gibt. (…) Digitale Kunst, Kunst in der berechneten Welt, ist auf Unberechenbarkeit hin berechnet, auf Unprogrammiertheit hin programmiert.
[5]
[1] Olek, Jerzy: «Insight into Photography. A Letter from Poland», in: European Photography, Nr.22, Göttingen 1985, S.42-43. [2] Jäger, Gottfried: Abstrakte, konkrete und generative Fotografie. Gesammelte Schriften, Bernd Stiegler, Paderborn: Wilhelm Fink Verlag, 2016, S. 156. [3] Jäger, 2016, S. 72-73. [4] Engell, Lorenz: Ohne Störung. Wirklichkeit als Programm und als Grenzwert in der Digitalen Ästhetik, in: Störzeichen. Das Bild angesichts des Realen, hrsg. O. Fahle, Weimar: VDG, 2003, S. 239. [5] Engell, 2003, S. 240.
7.
Zusammengesetztes Bild:
die Konstruierbarkeit der Welt.
Nicht die mathematische Beschreibung der Welt
ist das Entscheidende, sondern die aus ihr gewonnene prinzipielle Konstruierbarkeit der Welt, die planmäßige Antizipation einer mehr oder weniger abschließbaren zukünftigen künstlichen Realität, in der der Mensch als ebenso intelligibles wie vitales Wesen möglich ist. (...) Nur antizipierbare Welten sind programmierbar, nur programmierbare sind konstruierbar und human bewohnbar.
[1]
Die Fotokamera im klassischen Sinne ist ein Analogisierungsapparat, dessen Output es bekanntlich zu respektieren gilt: Nachträgliche Bearbeitungen, sofern nicht gradueller, sondern struktureller Art (als Collagen oder Montagen) gelten als verfahrenswidrige Kunstgriffe, als ,,Verfremdungen” oder ,,Manipulationen”, als,,Lügen” oder ,,Verfälschungen" — allesamt Begriffe, die in der digitalen Welt keinen Sinn mehr haben.
[2]
Individuelle Adressierbarkeit jedes Raum- und jedes Zeitpunktes ist exakt das Programm der Digitalisierung, jener Umwandlung der Welt von einem metaphorischen Zustand in einen mathematischen ·Zustand, die Bense als zivilisatorischen Großauftrag begreift. Von einem kontinuierlichen und unverfügbaren Zustand, dem ein metaphorisches, symbolisches Bewusstsein entspricht, wie es sich ästhetisch in traditionellen Bildwerken realisiert, wird die Welt durch Berechnung in einen diskreten und beherrschbaren Zustand überführt, dem ein mathematisch-technisches Bewusstsein entspricht, wie es sich in den digitalen Werken realisieren könnte. (…) Raum und Zeit wandeln sich von rein apriorischen zu mindestens auch posterionischen Größen, nämlich Manipulationsresultaten.
[3]
Das digitale Bild, das mir ermöglicht, in jede Stelle der Bildfläche so individuell einzugreifen wie der Maler auf der Leinwand, jede Stelle so zu gestalten, wie es meinen Vorstellungen entspricht, befreit nicht nur die apparative Kunst von ihrer quälenden und beengenden Mechanik, sondern befreit das Bilddenken schlechthin von vielen Zwängen; es ist also der erste reale Vorschein des „befreiten Bildes”.
[4]
The element of a ‚controlled randomness’ that emerges in Dada, OULIPO, and the works of Duchamp and Cage points to one of the basic principles and most common paradigms of the digital medium: the concept of random access as a basis, for processing and assembling information. American digital artist Grahame Weinbren has stated that 'the digital revolution is a revolution of random access' — a revolution based on the possibilities of instant access to media elements that can be reshuffled in seemingly infinite combinations.
[5]
Photography, film, and video have always entailed manipulation — for example, of time and place through montage — but in digital media, the potential for manipulation is always heightened to such a degree that the reality of 'what is' at at any given point is constantly open to question.
[6]
[1] Bense, Max: Einführung in die informationstheoretische Ästhetik, Reinbek, 1969, Reprint in: Bense, Max: Ausgewählte Schriften, Ästhetik und Texttheorie, Stuttgart/Weimar, 1998, S. 335. [2] Müller-Pohle, Andreas: Analogisieren, Digitalisieren, Projizieren / Zu den „Digitalen Partituren" nach Nicèphore Nièpce, in: Rundbrief Fotografie, N.F. 11, Vol.3, No. 3, Göttingen 1996, S. 4. [3] Engell, Lorenz: Ohne Störung. Wirklichkeit als Programm und als Grenzwert in der Digitalen Ästhetik, in: Störzeichen. Das Bild angesichts des Realen, hrsg. O. Fahle, Weimar: VDG, 2003, S. 240. [4] Weibel, Peter: Zur Geschichte und Ästhetik der digitalen Kunst, Ars Electronica Archiv, Linz [5] Paul, Christiane: Digital Art, third edition, London: Thames & Hudson, 2015, S. 15.
[6] Paul, 2015, S. 27.
8.
Arbeit: die Hybride
Die Interpretation des Objektes ist entscheidend, nicht mehr die Abhängigkeit von seiner realen Existenz.
[1]
Doch dieses Mehr an Bildern wird von einer neuen Qualität geprägt, dem Hybriden. Ob die Primärbilder gemalt, fotografiert oder gefilmt wurden, auf dem Weg zu den Bildern, die uns begegnen, greifen inzwischen digitale Techniken mit immer dominanteren Anteilen.
[2]
American mathematician Norbert Wiener (1894-1964) coined the term for the comparative study of different communication and control systems, such as the computer and the human brain. Wiener's theories formed the basis for an understanding of so-called man-machine symbiosis, a concept later explored by a number of digital artists.
[3]
In his articles 'Systems Aesthetics' and 'Real Time -Systems' (published in: Artforum in 1968 and 1969, respectively), American art historian and critic Jack Burnham explored a ,'systems approach' to art: 'A systems viewpoint is focused on the creation of stable on-going relationships between organic and non-organic systems.'
[4]
Digital technologies add an extra dimension to the
composite and collage, for disparate elements can be blended more seamlessly, with the focus being on a 'new', simulated form of reality rather than on the juxtaposition of components with a distinct spatial or temporal history. Digital collages and composites often constitute a shift from the affirmation of boundaries to their erasure.
[5]
lt has been suggested that the creation of artworks such as paintings or drawings on a computer implies a loss of relationship with the 'mark' - that is, that there is a significant lack of personality in the mark one produces on a computer screen as opposed to one on paper or canvas. While this is certainly true, the comparison with painting and drawing itself is slightly problematic. Art created by means of computer technologies is more comparable with other technologically mediated art forms such as film, video, and photography, where the individuality and voice of an artist does not manifest itself in a direct physical intervention. Concept, all elements of the composition process, the writing of software, and many other aspects of digital art's creation are still highly individual forms of expression that carry the aesthetic signature of an artist.
[6]
[1] Jostmeier, Michael: Das virtuelle Bild, Vortrag, gehalten anlässlich der 7. Internationalen Fototage in Mannheim / Ludwigshafener Bildforum Akademie zum Thema “Digialisierung und Weltbild”, Symposium 2005 [2] Kaufhold, Enno: Natürlich künstlich, in: Das virtuelle Bild, Arbeiten von Martin Dörbaum, Gero Gries, Gerhard Manz, Yochiro Kawaguchi, Yves Netzhammer, Musst.-Kat., Haus am Waldsee, Berlin 2001 [3] Paul, Christiane: Digital Art, third edition, London: Thames & Hudson, 2015, S. 9.
[4] Paul, 2015, S. 18
[5] Paul, 2015, S. 31.
[6] Paul, 2015, S. 47-48.
9.
Betrachter:
Intoxication
The digital optics is indeed a rational metaphor for intoxication, a blurring of perception that affects the real as much as the figurative, as though our society were sinking into the darkness of a voluntary blindness.
[1]
A rhetoric of crisis and catastrophe has dominated the theorization of the digital and electronic image since the l980s. The digital has been interpreted as the signal of a dangerous loss of perception, materiality, memory, and even reality itself, and as the symptom of a catastrophic historical rupture. (…)
A common feature of this widespread apocalyptic rhetoric is that it sets up an arbitrary binary opposition between analogue and digital images, for which the former comes to stand for modernism, a culture and a period in which historical awareness was still possible, whereas the latter stands for postmodernism as a deeply amnesiac stage of history in which capitalist reification has become absolut.
[2]
Digital art has brought about werk that collapses boundaries between disciplines — art, science, technology, and design — and that originates in various fields, including research-and-development labs and academia. From its history to its production and manifestation, digital art tends to defy easy categorization.
[3]
[1] Virilio, Paul: The Vision Machine, trans. Julie Rose, London: British Film Institute, 1994, S.76. [2] Magagnoli, Paolo: Let meaning disintegrate: digital compression as revelation in the art of Sean Snyder, in: The Versatile Image. Photography, digital technologies and the internet, edited by Alexandra Moschovi, Carol Mackay, Arabella Plouviez, Leuven: Leuven University Press, 2013, S. 223-224.
[3] Paul, Christiane: Digital Art, third edition, London: Thames & Hudson, 2015, S. 22.